Überforderung?
Wenn wir als Erwachsene auf unsere Schulzeit zurückblicken, dann erinnern wir uns meistens an all die schönen Dinge... Vielleicht sind auch an einige unvergessliche negative Erfahrungen dabei. Ein eventueller Druck oder vielleicht sogar eine Überforderung lässt sich nach all den Jahren kaum noch rekonstruieren. Nur wirklich einschneidende Erlebnisse, welche mit allen Sinnen und den dazugehörigen Gedanken und Emotionen erlebt wurden, bleiben tief in unserem Gedächtnis erhalten.
Es war in der 5. Klasse und ich erinnere mich an eine Lehrerin, welche immer einen extrem unangenehmen Geruch an sich trug. Sie war übergewichtig, hatte stets fettige Haare und einen weißen Schaum in den Mundwinkeln. Wenn sie sprach, flogen die Tropfen dieses weißen Etwas in alle Richtungen. Ihr Schweiß durchtränkte das Kleid und sie wischte von Zeit zu Zeit einen runterrollenden Tropfen mit der Hand weg, in der sie die Kreide hielt. Während des Unterrichts lief sie durch die Reihen, beugte sich über die Tische und gab Kommentare zu unseren Arbeiten. Jedes Mal, wenn sie an meinen Tisch kam, hielt ich meinen Atem an und hoffte, dass sie gleich wieder verschwinden würde.
So ging es jeder Schülerin und jedem Schüler! In den Pausen hörte man fast überall die grauslichen Geschichten der Frau So-und-so. In der Nacht träumte ich vom Schaum in ihren Mundwinkeln und ich war schon angewidert, sobald sie den Klassenraum betrat.
Alle Schüler waren mit dieser Situation überfordert.
Eines Tages stand sie wieder an meinem Platz und neigte sich über mich. Ich hatte nicht genügend Zeit, einen tiefen Zug frische Atemluft zu nehmen. Sie redete und redete, die Tropfen des Schaumes aus ihren Mundwinkeln, verteilten sich auf meinem Tisch und auf meinem Heft. Plötzlich hielt ich es nicht mehr aus und atmete tief ein. Ein süsslicher Geruch von Schweiß und üblen Atem verteilten sich in meiner Nase und meinem Mund. Ich explodierte und schrie sie an, dass sie sofort verschwinden solle, weil sie ekelhaft und ihr Gestank unerträglich sei. In diesem Moment sprach ich für alle meine Mitschüler und wahrscheinlich für die gesamte Schülerschaft. Sie packte mich an meinem Arm und zerrte mich ins Direktorat. Während sie mich durch das Schulhaus schleppte, schimpfte ich noch immer über sie. Ich machte einen riesigen Aufstand, welcher jedoch längst überfällig war. Meine Mutter musste in der Schule erscheinen und wurde von ihr vor dem Direktor zur Rede gestellt. Ich saß dabei, während die beleidigte Lehrerin die Vorkommnisse beschrieb und auf eine entschuldigende Erklärung meiner Mutter wartete.
Rückhalt aus der Familie!
Meine Mutter blickte kurz zu mir rüber und machte mit strenger Stimme deutlich, dass Alles, was ich gesagt hatte, nun mal die Wahrheit sei. Die ganze Schule würde über ihren hygienischen Zustand sprechen und sie würde stolz auf mich sein.
Kurioser Weise erinnere ich mich nur an dieses Vorkommnis und die vorangegangenen Monate der Unerträglichkeit.
Doch man stelle sich nur vor, wie so ein vermeintlich nicht schwerwiegender Umstand für viele Schüler zu einer Abneigung gegenüber eines ganzen Unterrichtsgegenstand führen kann. Wenn dann noch genau in diesem Fach, von jener Person, bessere oder überragende Leistungen gefordert werden.
Heute weiß ich, dass diese Lehrerin wahrscheinlich unter irgendeiner Krankheit litt und vielleicht nichts zur Verbesserung ihres Zustands tun konnte. Trotzdem war die Grenze der Zumutbarkeit schon längst überschritten und manchmal sollte dies auch zu Tage getragen werden.
Schüler sollten nicht ALLES hin- und annehmen!
Für viele Kinder kommt die Schule mit Allem rundherum, in der heutigen Zeit, fast schon einem Vollzeitjob gleich. In den meisten Fällen merken Kinder, Eltern und auch Lehrer nicht, dass sich eine Überforderung anbahnt oder im vollen Gange ist. In der Abwärtsspirale befindend fällt es schwer, rechtzeitig einen rettenden Entschluss zu fassen und die notwendigen Schritte zu gehen. Eltern bzw. Lehrer nehmen nur die sichtbaren Konsequenzen wahr.
Kinder benehmen sich plötzlich komisch, essen nicht mehr richtig, ziehen sich zurück, flippen bei jeder Kleinigkeit aus, werden in der Schule immer schlechter, streiten unnötig, lassen sich gehen, machen Dummheiten ... etc. etc. etc. und wir Eltern fragen uns nur:
Was ist bloß mit diesem Kind los?
In Familien, in denen beide Elternteile in Vollzeit arbeiten, vielleicht mehrere Kinder noch dazu gehören, ist es oft schwierig eine Überforderung zu erkennen. In dem folgenden Abschnitt werde ich dir die Symptome bzw. Anzeichen einer möglichen Überforderung beschreiben.
Symptome und Anzeichen
- Appetitlosigkeit - Kinder bringen ihre Schuljause immer öfter nicht aufgegessen oder sogar unberührt mit nach Heim. Die Portionen des Mittagessens werden immer kleiner bzw. Tagesmahlzeiten werden komplett ausgelassen. (Gewichtsverlust)
- Aggression - Unnötige Schreianfälle bei beiläufigen Fragen. Eine aggressive Grundhaltung bis hin zu Gewaltausbrüchen gegenüber Klassenkameraden, Geschwistern und anderen Familienangehörigen. Wutausbrüche in denen Gegenstände herumgeworfen werden oder mutwillig zerstört werden.
- Schlafstörungen - Das Einschlafen am Abend fällt immer schwerer bis hin zur totalen Schlaflosigkeit. Am Morgen kommen sie dann nicht mehr aus dem Bett und müssen mehrmals zum Aufstehen ermahnt werden. In der Schule können sie dadurch nicht mehr ausreichend dem Unterricht folgen.
- Regelmäßige Kopf- und Bauchschmerzen - Diese Symptome können auch eine andere Verursachung haben, sollten jedoch im Falle des Auftretens untersucht werden.
- Sozialer Rückzug - Kinder ziehen sich zunehmend zurück, wollen lieber alleine sein und flüchten sich in schädliche Aktivitäten.
- Angst vor neuen Situationen - Ein Besuch bei neuen Bekannten der Familie, neue Aktivitäten, wie Wandern, Museenbesuche, Ausflüge zu Sehenswürdigkeiten ... werden sofort, ohne Angabe von Gründen abgeblockt.
- Irrationale Handlungen - Im Extremfall können Stress und Überforderung zu Handlungen führen, deren Konsequenzen in der Situation nicht abgeschätzt werden und zu katastrophalen Geschehnissen eskalieren. Zum Beispiel das absichtliche Verletzen von Mitmenschen.
Klar können diese Anzeichen auch eine andere Ursache haben, jedoch sollte in jedem Fall genauer beobachtet werden. Sensibilität für den Gemütszustand unserer Kinder ist unumgänglich und sollte gerade in dieser Zeit noch mehr